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HR fragt nach: Kulturentwicklung! Miriam Seifert spricht mit Claudio Ingendaay

Ich sitze mit Claudio Ingendaay im Ehrenfelder Café Sehnsucht. Wir streifen viele Themen, beleuchten unterschiedliche Facetten von Unternehmenskultur. Zuletzt haben wir uns auf dem Forum Arbeitskultur NRW getroffen. Davor waren wir beim HR Kompetenzforum Essen jeweils als Vortragende in ähnlichen Zusammenhängen unterwegs: Arbeitskultur.

Claudio Ingendaay war lange Jahre Leiter des Consulting bei Great Place to Work und dort verantwortlich für die Messungen und die Folgeprozesse – kurz: die Kulturentwicklung. Er ist Diplom-Psychologe und leitet seit wenigen Monaten die perbene Beratungsgesellschaft. Warum wir uns treffen? Weil uns dieselben Themen beschäftigen, treiben, weil die Augen zu leuchten beginnen, wenn es darum geht, das große Thema „Kulturentwicklung“ auf den Boden zu bekommen, die Meta-Ebene zu verlassen und „den Alltag zu Wort kommen zu lassen“ – kurz: die Mitarbeiter in den Fokus zu nehmen. Letztlich hat Claudio Ingendaay vor 7 Jahren Carsten, Claus und Paul auf Great Place to Work und die Möglichkeit des Arbeitgeberwettbewerbs und das Benchmarking aufmerksam gemacht. Hier schließt sich also ein Kreis…

Claudio, wenn ich den Satz beginne mit „Kulturentwicklung…“ – wie geht er für Dich sinnvoll weiter?

„Kulturentwicklung… findet im Kleinen, im Tagesgeschäft statt – oder gar nicht.“

Sind sich die Führungskräfte, mit denen Du zusammenarbeitest, dessen bewusst?

Teils – teils. Ich arbeite mit Unternehmensvertretern zusammen, die wollen, dass etwas besser wird. Damit meinen sie natürlich letztlich das, was im Alltag geschieht. Aber oft wird von „Werten“ oder „Kultur“ auf einem so hohen Abstraktionsniveau gesprochen, dass man nicht mehr erkennt, was das im Alltag bedeutet. Und da reißt dann der Verständnisfaden für die Mitarbeiter.

Claudio, warum tust Du, was Du tust? Was ist Dein Anliegen?

Ich bin Organisationsentwickler, diese Arbeit mache ich wirklich gerne. Meine Arbeit ist aber für die Katz, wenn ich nicht den Weg zum Alltag in den Unternehmen finde. Die Ruder sollen ins Wasser reichen. Darum will ich mit meiner neuen Firma die besten Methoden bieten, am „point of work“ Veränderungen auszulösen. Neue Lösungen oder anderes Handeln, das sich in der Folge auf das gesamte Unternehmen positiv auswirkt.

Du glaubst also, dass man die Kultur in einem Unternehmen verändern kann. Was können Berater hier leisten, was intern nur schwer herstellbar ist?

Der Kernnutzen von Beratern ist der Blick von außen und die Unabhängigkeit. Sie können Ideen oder Vorgehensweisen einbringen, die intern im Unternehmen nicht mehr gedacht werden. Dann sind Dinge eben „undenkbar“ und das heißt dann „unmöglich“. Aber unmöglich sind sie oft nicht, man tut es nur nicht, traut sich nicht, man kommt nicht drauf. Aber möglich ist es doch.

Was ist aus Deiner Sicht für den Berater das Wichtigste bei seiner Arbeit?

Neugierde und Interesse an den Menschen in ihrer Situation, immer wieder neu, das ist für mich wesentlich. Ich bringe natürlich meinen Erfahrungsschatz mit. Aber was passt daraus für das Unternehmen, das ich gerade berate? Da muss man immer wieder neu nachdenken. Letztlich ist es eine alte Tugend, die hier gefragt ist: die Demut vor den Menschen und der Sache. Für mich ist es dann ein guter, erfüllender Tag, wenn ich in einem wirklichen Dialog gemeinsam mit den Teilnehmern am Thema arbeite und die Menschen auf die Fährte bringen kann für den nächsten sinnvollen Schritt.

Berater erleben immer wieder Vorbehalte. Das kenne ich auch von unseren Berater-Kollegen. Wie gehst Du damit um, wenn dir das begegnet?

Ja, manchmal erlebt man Vorbehalte bei den Teilnehmern – z.B. bei einem Workshop, weil man dann zunächst als Stellvertreter für eine „fiese“ Geschäftsführung wahrgenommen wird. Meine Arbeit wird dann als „Alibi-Veranstaltung“ angesehen. In solchen Aussagen steckt allerdings der berechtigte Anspruch, dass man glaubwürdig miteinander umgeht.Ich frage dann, was wir tun können, damit es glaubwürdig wird. Wenn sich die Teilnehmer darauf einlassen, kommen wir weiter. Mit Offenheit und Direktheit kann ich was tun, ganz gleich ob sie Engagement, Frust oder Zorn transportieren.

Gibt es für Dich „DIE METHODE“ schlechthin – das beste Mittel?

Ich bin permanent auf der Suche nach passenden Methoden. Ich frage mich im Rückblick immer wieder: war das die beste Methode? Ich möchte wirklich nah ran kommen. Da gibt es immer wieder was Neues zu entdecken.

Eine solche Entdeckung, die sich in meiner Workshop-Arbeit bewährt hat, ist das „Live-Protokoll“.  Es funktioniert so, dass ich im Workshop statt auf einem Flip-Chart die sich entwickelnden Ergebnisse in einem Word-Dokument festhalte. Dieses Word-Dokument ist auf einer Leinwand zu sehen, d.h.  die Teilnehmer sehen, was ich schreibe und stellen sofort richtig, wenn ich etwas missverstanden habe. Oder sie ergänzen neue Gedanken. Der live entstehende Text und die dann folgenden Ergänzungen und Veränderungen bilden dadurch „realtime“ den kreativen Prozess ab, der in einer Gruppe stattfindet. Das ist ein echter Fortschritt zum Flip-Chart. Man muss allerdings flink auf der Tastatur sein.

Was ist aus Deiner Sicht die größte Herausforderung für Organisationen und Menschen?

Auslöser sind natürlich die Umbrüche des Arbeitens wie z. B. die Digitalisierung und das Tempo, mit dem sich das heute vollzieht. Auf der kulturellen Seite bringt das ein hohes Zerfallstempo von „commitment“ mit sich. Wenn jemand einen Arbeitsvertrag unterschrieben hat, heißt das noch lange nicht, dass er auf Dauer einig und einverstanden ist mit dem, was dann im Unternehmen passiert. Dieses Einverständnis muss man immer wieder herstellen, sonst gehen die Leute in Opposition zur Geschäftspolitik oder fahren ihr Engagement zurück. Dieses hohe Zerfallstempo von Einverständnis wird häufig unterschätzt.

Meine letzte Frage, Claudio, an dieser Stelle: was glaubst Du, ist innerhalb einer Organisation wichtig, um diesen Herausforderungen zu begegnen?

Meine Beobachtung ist: Sehr gute Unternehmenskulturen sind immer stark im Dialog. Die Menschen sind gewohnt, offen und klar miteinander zu reden – in den Teams, zwischen Führungskräften und Mitarbeitern und insgesamt zwischen Unternehmen und Belegschaft. Die können tatsächlich abarbeiten, was an Konflikten und Interessensgegensätzen jeden Tag im Unternehmen aufläuft. So stellen sie Einverständnis immer wieder her.

Vielen Dank für das schöne Gespräch.

 

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